2008 ROMANIK

2008 - Dome und Schätze

Romanik-Tournee 2008 Dome und Schätze
Johann Wilhelm Hertel: Trompetenkonzert

Die Musik, mit der Sie das Magdeburger Rossini-Quartett und der Trompeter Tilman Schneider/ Ruprecht Drees zur neuen Entdeckungsreise entlang der Straße der Romanik begrüßt haben, stammt von einem weniger bekannten Komponisten. Johann Wilhelm Hertel wurde 1727 in Eisenach als Sohn und Enkel von Hof- und Kirchenmusikern geboren. Die Familie war eng mit der in Thüringen wirkenden Bach-Familie bekannt, und hier bekam Johann Wilhelm auch ersten Musikunterricht. Später wirkte die Familie, der Sohn bald auch Begleiter des Vaters, der ein bekannter Gambenvirtuose war, am Zerbster Hof, er studierte in Wittenberg, und schließlich verschlug es den Musiker an den Strelitzer Hof. Er hatte enge Kontakte zur Berliner Schule um die Gebrüder Benda und den Bach-Sohn Carl Philipp Emmanuel.
Hertel wurde weithin geschätzt und in einem Nachruf – er starb 1789 -- heißt es: „Er gehörte zu den geschmackvollsten Musikern seit Mitte unseres Jahrhunderts“, ein Urteil, dem man noch immer zustimmen kann.
Von seinen zahlreichen Kompositionen sind erst ganz wenige aufgefunden. Viel Material also, um weitere Schätze zu heben.
Wir möchten mit Ihnen heute auf eine musikalisch-literarische Schatzsuche entlang der Straße der Romanik gehen.

Wechselnde Texte für die einzelnen Orte:
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Am 25. Mai – Kaiser-Otto-Saal Magdeburg

Einer der Schätze ist der Saal, in welchem wir uns hier befinden. Nach den Zerstörungen des II. Weltkrieges musste in dem „Restmuseum“ Platz geschaffen werden. Das Wandgemälde wurde erst verhängt, dann verputzt und schließlich wurde eine Zwischendecke eingezogen. Der wunderschöne Raum schien verloren.
Im Vorfeld der Kaiser-Otto-Ausstellung 2001 konnte er rekonstruiert werden. Das große Wandgemälde von Arthur Kampf wurde in mühsamer Arbeit wieder restauriert. Das Gemälde, das drei Szenen aus dem Leben Otto des Großen in Wilhelminischer Manier zeigt, ist das einzig erhaltene Monumentalwerk des Malers. Das Schicksal des Bildes wie auch des ganzen Saales ist ein Spiegelbild der Geschichte Magdeburgs im 20. Jahrhundert, und es lohnt sich, es näher zu betrachten

Am 7. Juni – Kloster Helfta

Das Kloster Helfta gehört zweifellos auch zu den Schätzen, die es zu entdecken gibt. Bereits im Zuge der Reformation wurde das Kloster säkularisiert und seine Güter zur preußischen Staatsdomäne. Die romanischen Gebäude verfielen, auch in der DDR, als hier eine LPG logierte. Nachdem das Bistum Magdeburg die ehemalige Klosteranlage wieder erworben hatte, wurde die Klosterkirche aus den Ruinen neu errichtet, alle historischen Funde sorgsam mit der neuen Bausubstanz verbunden. Die Basilika wurde wieder vollständig. Ein neuer Kreuzgang und ein nach historischen Vorbildern angelegter Kräutergarten verdeutlichen die spirituelle Einheit der neuen mit der ganz alten Geschichte, Gelegenheit auch für die Nonnen, die hier wieder leben, die Traditionen der großen Mystikerinnen, die hier wirkten fortzusetzen.

Am 26. Juni – Schloss Neuenburg

Dem Schutz aller Schätze diente die Neuenburg, auf der wir uns hier befinden. Um 1090 wurde sie als östlicher Vorposten des Herrschaftsgebietes der Thüringer Landgrafen angelegt. Etwa gleichzeitig entsteht im Westen des Herrschaftsgebietes die Wartburg. In den folgenden Jahrhunderten wird sie immer wieder erweitert und umgebaut. Doch haben sich einige architektonische Kleinodien bewahrt, wie etwa die Doppelkapelle. Durch eine Klapptür konnte das einfache Volk unten an den Gottesdiensten in der oberen Kapelle teilnehmen, ein architektonisch gefügtes Oben und Unten, das so drastisch selten in der romanischen Baukunst zu finden ist.
Die Burg diente als Schutz- und Fluchtburg, aber man bereitete sie auch wohnlich, mit mehrgeschossigen Wohnbauten, und bereits 1170 wurde eine Warmluftheizung eingebaut. Noch heute beeindrucken die erhaltenen und wieder instand gesetzten Gebäude der mächtigen Burg.

Am 5. Juli – Burg Querfurt

Die Burg Querfurt hier ist z. B. ein echter historischer Schatz. Bereits aus Karolingischer Zeit stammen die frühesten erhaltenen Anlagen südlich der Burg. Seitdem haben viele Bauepochen ihre architektonischen Spuren hier hinterlassen.
Die Burgkirche, in der wir uns hier befinden, stammt in der heutigen Kreuzform aus dem 12. Jahrhundert. Sie hatte jedoch bereits zwei Vorläufer, im 10. Jahrhundert ein kleiner Saalbau als Grablege für die Stifter, die Edlen Herren von Querfurt, und Fragmente einer größeren Kirche im 11. Jahrhundert, die jedoch unvollendet blieben. Verschiedene Anbauten hatten diese „Investruine“ dann wohl völlig verdorben, so dass in den 60er/ 70er Jahren des 12. Jahrhunderts die heutige spätromanische Kirche ganz neu gebaut wurde.
Innerhalb der mächtigen Burg wirkt sie zwar bescheiden, zeichnet sich aber durch vollendete Proportionen und architektonische Klarheit aus, ein Kleinod unter den Bauten der Burg.

Am 12. Juli – Hecklingen

Zu den wertvollsten Kirchenschätzen entlang der Straße der Romanik gehört die Kirche, in der wir uns hier befinden, insbesondere deren Innenausstattung. Die Kirche geht auf ein Nonnenkloster zurück, das Graf Bernhard I. um die Mitte des 11. Jahrhunderts gestiftet hat. Auch hier haben Brände gewütet, die Um- und Ausbauten zur Folge hatten. Heut erstrahlt sie jedoch in selten harmonischer Schönheit. Vor allem aber finden sich hier im Inneren prachtvolle Bildwerke aus dem 13. Jahrhundert, wie sie kaum anderswo erhalten sind. Die Verzierungen der Säulen, die vielgestaltigen Kapitelle, die Stifterköpfe über den Nordarkaden, vor allem aber die 1,25 m großen Engel über den Säulen gehören zu den einzigartigen Schätzen spätromanischer Stuckplastik. Sie können auch für uns heute Sinnbilder sein. Die Engel an den Ecken tragen Posaunen, die dazwischen Schriftrollen.

Am 13. Juli Schloss Hundisburg

Das Schloss Hundisburg ist erst in jüngerer Zeit wieder zum Schatz geworden. Seit 1993 konnten Schloss, Barock- und Landschaftsgarten schrittweise rekonstruiert werden und fügen sich zum Kleinod in einer Landschaft, die reich an historischen Schätzen ist. Von steinzeitlichen Gräbern über die eindrucksvolle romanische Ruine Nordhusen, die einziges Zeugnis eines verschwundenen, einstmals wohlhabenden Dorfes ist über Haldenslebens berühmten Reitenden Roland bis hin zu Zeugnissen der Industriekultur in der Alten Ziegelei oder der Alten Fabrik in Althaldensleben. Sie alle sind heute sorgsam gehütete Schätze und Orte lebendiger Kultur.

Am 26. Juli – Kloster und Kaiserpfalz Memleben

Die romanischen Ruinen hier in Memleben sind historisch-architektonische Schätze. Sie erinnern an die frühesten Ereignisse des deutschen Kaiserreiches. Das Kloster Memleben, dessen Ruinen hier sorgsam konserviert sind, ließ Otto I. nach dem Tode seines Vaters König Heinrich I. errichten. Wenn es für die wandernden Königs- und KaisehöfeKaisehöfeKaiserhöfe im 10. Jahrhundert überhaupt so etwas wie ein Zuhause gegeben hat, so war es für Otto neben seiner Lieblingspfalz Magdeburg die Kaiserpfalz in Memleben. Über die Kindheit und Jugend Ottos ist wenig bekannt, man kann aber vermuten, dass er hier in und um Memleben einen Großteil seiner Zeit verlebt hat.
Wie für seinen Vater wurde Memleben auch für Otto den Großen der Sterbeort. Wo einst die berühmte Pfalz gestanden hat, ist nicht bekannt, das Kloster aber war den bedeutendsten Klöstern der Zeit in Fulda und Reichenau gleichgestellt.

14. September – Pfarrkirche St. Lorenz Salzwedel

Salzwedel war einst reich an Schätzen. Dafür sorgte vor allem das weiße Gold, das Salz. Das Schicksal der Lorenzkirche ist eng mit diesem Stoff verbunden. Die Stadt, welche an der Grenzburg und Salzfurt wuchs, brachte es bald zu einigem Reichtum. Im 12. Jahrhundert wird sie urkundlich erwähnt, und in dieser Zeit entstehen auch hier wie überall in der Altmark prächtige Backsteinkirchen in der zeitgemäßen romanischen Bauweise. Die Lorenzkirche wurde von der Knochenhauerinnung gestiftet. Der Handel erblühte und bald nach der Gründung der Hanse wurde Salzwedel Hansestadt. Die Blütezeit dauerte bis zum 30-jährigen Krieg.
Der Lorenzkirche ging es ein halbes Jahrhundert später an die Bausubstanz. Auf brandenburgisch-kurfürstliche Weisung hin wurde der romanische Bau Salzlager, der Westturm wurde angerissen und die Mauern so schwer geschädigt, dass 1859 ein Totalabriss erwogen wurde. Die katholische gemeindegemeindeGemeinde rettete die Kirche in buchstäblich letzter Minute. Das Salz gehört heute nicht mehr zu den Schätzen, die alte Kirche aber wohl.

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Zu den musikalischen Schätzen Sachsen-Anhalts gehört zweifellos die Musik Georg Philipp Telemanns. Sie hören jetzt das Oboenkonzert …. mit Henning Ahlers als Solisten

Telemann: Oboen-Konzert

Die Bauwerke an der Straße der Romanik sind auch alles Schätze.
Das Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt war seit dem frühen Mittelalter östlicher Vorposten christlich deutscher Herrschaft, befestigt durch zahlreiche Burgen und wehrhafte Klöster. Wer an der Straße der Romanik reist, begegnet den baulichen Zeugnissen einer über 1000-jährigen Geschichte, wie sie anderswo in Deutschland nicht zu finden sind. Und hier haben sich auch historische Kirchenschätze in einmaliger Kostbarkeit und Dichte erhalten.

Macht und Reichtum einerseits, aber auch paradoxerweise Armut haben dazu beigetragen, dass sich hier Kirchenschätze erhalten haben.
In vielen der alten Dorfkirchen finden sich noch heute z. B. goldene Abendmahlskelche oder historische Leuchter, die von unschätzbarem Wert sind. Gold- und Silberschätze gehören zu den außerordentlich raren historischen Zeugnissen. Wenig wissen wir um die tatsächliche Kunstfertigkeit der alten Gold- und Silberschmiede, denn ihre Arbeiten wurden allzu oft „versilbert“, d.h. eingeschmolzen, wenn die Kassen klamm waren.
In den allerärmsten Kirchgemeinden aber gab es oft eben nur diejenigen Schätze, die im alltäglichen oder doch allwöchentlichen liturgischem Gebrauch waren. Und dies schützte sie bis zum heutigen Tage.
Goethe kannte auch den Zusammenhang von Armut und Schätzen. Sein Gedicht „Der Schatzgräber“ wurde von zahlreichen Komponisten vertont, von Carl Loewe, Friedrich Reichhard und Hanns Eisler.
Hören sie jetzt Undine Dreißig mit der Schubertschen Vertonung von Goethes berühmtem Gedicht.
….

Schubert: Der Schatzgräber

( Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und, zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
"Meine Seele sollst du haben!"
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze;
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es Zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten:
Heller ward's mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht: es kann der Knabe
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.

"Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung.
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens:
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.")

„Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.“

Für Zauberwörter ist vor allem der Dom zu Merseburg berühmt.
Im Domkapitel findet sich eine mittelalterliche Abschrift von Zaubersprüchen, durch die sich die Menschen mit Hilfe des gebundenen Wortes magische Kräfte zu Nutze machen wollten. Die meisten von ihnen sind christlich geprägt und finden sich in zahlreichen Kirchenschriften.
Im Jahre 1841 untersuchte der Historiker Georg Waitz in der Bibliothek des Merseburger Domkapitels eine theologische Sammelschrift aus dem 9./10.Jahrhundert. Bei dieser Untersuchung stieß er auf zwei Zauberformeln in althochdeutscher Sprache, die vorchristlichen Ursprungs sind. Bis auf den heutigen Tag sind dies die einzigen althochdeutschen Zaubersprüche heidnischen Inhalts, die schriftlich überliefert wurden.
Der sensationelle Fund wurde damals zur Begutachtung dem berühmten Forscher Jakob Grimm vorgelegt, einem der beiden Gebrüder Grimm, die durch ihre Märchensammlungen inzwischen Weltruhm erlangt hatten und als Begründer der Germanistik gelten. Jakob Grimm bewertete den Fund vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin fast überschwänglich:

„Gelegen zwischen Leipzig, Halle und Jena ist die reichhaltige Bibliothek des Domkapitels zu Merseburg von Gelehrten oft besucht und genutzt worden. Alle sind an einem Codex vorbeigegangen, der ihnen, falls sie ihn näher zur Hand nahmen, nur bekannte kirchliche Stücke zu gewähren schien, jetzt aber, nach seinem ganzen Inhalt gewürdigt, ein Kleinod bilden wird, welchem die berühmtesten Bibliotheken nichts an die Seite zu setzen haben...“.

Nicht zuletzt durch diese Bewertung wurden die beiden Zauberformeln schnell weltweit bekannt. Wegen ihres Fundortes werden sie heute die „Merseburger Zaubersprüche“ genannt.

Der erste dieser Sprüche ist ein Lösesegen:

Eiris sâzun idisi, sâzun hêra (m)uoder.
suma hapt heptidun, suma heri lezidun,
suma clûbôdun umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandum, inuar uîgandun !

(Aussprachehinweise: 1. Alle Vokale mit „^“ werden lang gesprochen
2. „uu“ ist ein „w“
3. „uo“ eher wie ein englisches „w“
4. „c“ gleich „k“
5. „su“ gleich „sw“)

Einst setzten sich Jungfrauen (und) setzte sich die große Mutter
Manche hefteten Haft, manche hemmten das Heer.
Einige zerrten an den Fesseln.
Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!

Der zweite konnte bei verrenkten Gliedmaßen bei Mensch oder Tier helfen:
Phol ende Uuôdan uuorun zi holza.
Dû uuart demo Balderes uolon sîn uuoz birenkit.
thû biguol en Sinthgunt, Sunna era suister,
thû biguol en Frîia, Uolla era suister;
thû biguol en Uuôdan sô hê uuola conda:
sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî,
sôse lidirenkî:
bên zi bêna, bluot zi bluoda,
lid zi geliden, sôse gelimida sin!

Auch hier eine Übersetzung:

Phol und Wodan ritten ins Holz.
Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt.
Da besprach ihn Sinthgunt (und) Sunna, ihre Schwester.
Da besprach ihn Frija (und) Volla, ihre Schwester.
Da besprach ihn Wodan, wie (nur) er es verstand:
So Knochenrenke wie Blutrenke
Wie Gliedrenke:
Bein zu Bein, Blut zu Blut,
Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien! (oder: dass sie gelenkig sind!)

Wie Beschwörungen muten auch die berühmten „Lieder der Unschuld & der Erfahrung“ des Engländers William Blake an. Er schafft mit ihnen und den Kupferstichen, die er zu seinen Texten schuf, einen eigenen mystischen Kosmos, der auch von zahlreichen Komponisten aufgegriffen wurde. Hören Sie aus Ralph Vaugham Williams „Ten Blake Songs“ Infant Joy. Hier wird die Unschuld des neugeborenen Kindes als Inbegriff der Freude besungen, einem Zustand, den man als Erwachsener wie einen verlorenen Schatz wieder suchen muss.

Ralph Vaughan Williams: „Infant Joy“

Von ganz alten Schriften hat sich auch der Komponist Reinhard Seehafer inspirieren lassen. Er widmet seine jüngste Komposition, die er gerade für unsere diesjährige Schatzsuche geschrieben hat, der „Karolingischen Minuskel“. Dies ist die Schriftart der Romanik, mit der im 8. Jahrhundert erstmalig eine durchgängige Schrift in Kleinbuchstaben entwickelt wurde, die sich von den Schreibzentren des Karolingerreiches aus über ganz Europa verbreitete. Damit waren die Aufzeichnungen und vor allem klösterlichen Schriften erstmalig überall lesbar.
Karl der Große, nach dem die Schrift benannt ist, soll allerdings selbst nicht schreiben und lesen gekonnt haben.
Die Karolingischen Minuskel sind auch uns Heutigen noch gut lesbar. Sie wurden zur Grundlage aller Antiqua-Schriften des Buchdrucks.
Reinhard Seehafer hat für sein Musikstück Themen der Hildegard von Bingen verwendet. Ihre Werke sind in Abschriften überliefert, die in den damals „moderneren“ gotischen Minuskeln, die unmittelbar aus den Karolingischen Minuskeln hervorgegangen sind, geschrieben sind. Sie selbst aber schrieb wohl noch Karolingische Minuskel.

Reinhard Seehafer: Karolingische Minuskel

Ob die Menschen des Mittelalters in den Schriftkünsten bereits Schätze sahen? Die Wenigsten von ihnen konnten lesen. Aber in den Kirchen wussten sie ganz andere Schätze, und sie anzusehen bedeutete ihnen immer ein Feiertag.
In Sachsen-Anhalt sind eine Reihe wertvollster Kirchenschätze bewahrt worden, und dies ist schon eine bedeutsame historische Besonderheit. Auf geografisch engstem Raum, nur wenige Kilometer von einander getrennt finden sich in Quedlinburg, Halberstadt, Merseburg und Naumburg Domschätze von höchstem historischem und künstlerischem Wert.
Heute werden die Sammlungen, die über Jahrhunderte zusammengetragen wurden, für jedermann präsentiert, in neuester Form gerade in Halberstadt und Naumburg, etwas länger schon in Quedlinburg und Merseburg.
Sie bezeugen die wechselvolle Geschichte von den Anfängen des Deutschen Königtums und des Christentums in unserer Region auf ihre besondere Weise.
Lange bevor die Gläubigen ihre Gotteshäuser und Altäre mit Bildern schmückten, beteten sie Reliquien an, Überreste von Heiligen oder gar von Jesu Leben oder Passion. Schon seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert sind die frühesten Reliquiare überliefert. Sie nehmen auch in den Kirchenschätzen einen großen Raum ein. Die frühesten von ihnen sind geschlossene, reich verzierte Kästchen, Reliquienschreine, die aus kostbaren Materialien mitunter wie ganze Kirchen gestaltet wurden. Als man später an der Echtheit der sich darin angeblich befindlichen Heiligenreliquien zweifelte, ging man dazu über, „sprechende Reliquiare“ zu gestalten. Sie bekamen die Form des Körperteils, von welchem der Knochensplitter stammen sollte. In Halberstadt findet man eine goldene Hand, in der ein Stückchen Knochen aus der Hand des heiligen Nikolaus eingeschlossen sein soll.
Aber auch dies konnte auf die Dauer nicht überzeugen, so dass man schließlich die Knochen in wertvollen durchsichtigen Flakons oder Kristallkästchen bewahrte, oft eingebettet in großartig geschmückte Kreuze.
Die Reliquienverehrung ist die älteste Form christlicher Heiligenverehrung. Es gab sie schon lange bevor die ersten Heiligenbilder oder Ikonen angebetet wurden. Und viel mehr als diesen wurden und werden Reliquien bis heute Heilswirkungen und Wunder zugesprochen.

Ganz anders, aber nicht weniger prachtvoll, wird die Göttliche Gnade durch die Musik erbeten. Hören Sie nun Undine Dreißig mit Bachs wunderbarer „Erbarme Dich“-Arie aus der Matthäus-Passion.

Bach: „Erbarme Dich“-Arie aus der Matthäuspassion

Viele der kostbaren Stücke, die man heute an der Straße der Romanik bewundern kann sind byzantinischen Ursprungs.
Als am 13. August 1204 die Teilnehmer des 4. Kreuzzuges, vor allem Venezianer und südfranzösische Ritter, Konstantinopel eroberten und an den folgenden drei Tagen mit großer Grausamkeit plünderten, nahmen zahlreiche Kostbarkeiten ihren Weg nach Mitteleuropa. Sie wurden bei den ständig aufflackernden Machtkämpfen als diplomatisches Gut in ganz Europa verteilt.
Für die Kirchen waren sie nicht nur geweihte Kostbarkeiten, sondern auch effektive Einnahmequellen. Ihre wundertätige Kraft nämlich entfalteten die Kostbarkeiten nicht durch bloßes Anschauen oder Berühren. Neben der Beichte war auch tätige Reue des sündigen Kirchenvolkes gefragt in Form von wohltätigen Spenden.
So ist etwa überliefert, dass der einstmals berühmte Kirchenschatz des Magdeburger Doms – er wurde, wie viele andere Kirchenschätze auch, während der Napoleonischen Besetzung zerstreut – noch bis ins 18. Jahrhundert jeweils zur Herrenmesse um das Michaelisfest herum im Bischofsgang ausgestellt wurde und das Landvolk zu Tausenden in den Dom zog, was die Klingelbeutel kräftig füllte. Dazu trug auch die Orgelmusik bei, zu der sich alle Figuren an dem prächtigen barocken Gehäuse der Compeniusorgel auf der Westempore bewegten und der Goldene Hahn dreimal krähte.
Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Brauch abgeschafft, auch deshalb, weil die Massen den Dom alljährlich in einem jammervoll verdreckten Zustand hinterließen und man befürchten musste, dass in dem Gewühl ernsthafte Unfälle geschehen konnten.
Wenn auch der Magdeburger Domschatz für immer verloren ist, so darf die gerade geweihte neue Domorgel mit 93 Registern und ca. 6 000 Pfeifen auch für einen Schatz gehalten werden.
Mit einer einzelnen Pfeife werden wir ihnen nun einen weiteren musikalischen Schatz präsentieren. Hören sie Michael Schneider/ Atsugo Koga mit einem Flötenkonzert von Georg Philipp Telemann.

Telemann: Flötenkonzert

Wenn auch die Schätze ganz allgemein und die wundertätigen Kirchenschätze im Besonderen die Phantasie der Menschen zu allen Zeiten angeregt haben, so halfen sie doch nicht im alltäglichen Leben.
Im Zeitalter der Aufklärung erreichte der Wunderglaube einen vorläufigen Tiefpunkt. Bildung und Wissenschaft waren die Güter, die zu den wahren Schätzen der Menschen werden sollten. Zu den leidenschaftlichen Aufklärern gehörte Joachim Heinrich Campe. Nachdem er in Halle evangelische Theologie studiert hatte, wurde er Lehrer, gründete u. a. die erste spezielle Schulbuchhandlung Deutschlands in Braunschweig, unterrichtete am Philantropium bei Basedow in Dessau, gründete eine Reformschule in Hamburg Hamm, war Hauslehrer und Erzieher der beiden Humboldt-Brüder in Berlin, später Ehrenbürger der Französischen Republik.
Campe übersetzte Daniel Defoes „Robinson“ ins Deutsche und schrieb Gedichte.
Eines davon ist „Abendempfindung“, das von Mozart – Campe war auch sein Freimaurerbruder – vertont wurde.

Mozart „Abendempfindung“

Ein besonderer Schatzsucher aus Sachsen-Anhalt war Johann Joachim Winckelmann. Er suchte und fand seine Schätze, vor allem in der Kunst der griechischen Antike.
Als Sohn eines Flickschusters wurde er 1717 in Stendal geboren und brachte es ganz durch eigene Anstrengungen zur Lateinschule. Jobbte als Nachhilfe-, später Privat- und Gymnasiallehrer in der ganzen Altmark und in Berlin. Am Fürstenhof Nothnitz bei dem Bibliophilen Graf von Brunau erkannte er schließlich seine kunstgeschichtliche Passion. Durch einen für ihn stets schmerzlich gebliebenen Wechsel zum Katholizismus eröffnete sich ihm der Weg zum päpstlichen Antiquar und Kommissar über die Altertümer in Rom. Nach dreißig Jahren in ungeliebten kleinen Verhältnissen in Deutschland wurden die 13 Jahre in Rom zu seinen fruchtbaren und glücklichen. Ohne Winckelmann wäre die Deutsche Klassik nicht denkbar. Er war es, der das Wort von der „edlen Einfalt und stillen Größe“ der Antike prägte und darin genau das Vorbild sah, an dem sich der Mensch in der Zerrissenheit und Enge deutscher Kleinstaaterei aufrichten könne. Er lehrte, das Schöne zu sehen und sein Hauptwerk „Geschichte und Kunst des Altertums“ stellt den Menschen als Maß aller Dinge in den Mittelpunkt.

Ein Zeitgenosse Winckelmanns, der ebenfalls, wenn auch auf ganz andere Weise, griechische Antike in europäische Klassik „übersetzte“, war Christoph Willibald Gluck. Hören Sie nun Undine Dreißig mit der Arie des Paris „Oh, del mio dolce ardor“. Der heißspornige, asiatische Paris muss in der Oper die kühle Griechin und gutbürgerlich-treue Ehefrau Helena erst noch erobern, was ihm Gelegenheit zu sehnsuchtsvollen und auch traurigen Arien gibt.

Gluck: “Oh, del mio dolce ardor“

Zurück zum Antikenforscher Winckelmann. Sein Leben endete in einem Krimi. In einem Gasthof in Triest wo er, nach dem Abbruch einer Deutschland-Reise, auf die Fähre nach Ancona wartete, wurde er am 8. Juni 1768 nachts von seinem Zimmernachbarn mit sieben Messerstichen ermordet. Winckelmann war damals ein wohlhabender Mann, und der schon vorbestrafte Francesco Arcangeli tötete ihn seiner Reisekasse wegen. Der Mörder wurde zum Tod durch das Rad verurteilt und Winckelmann in Triest begraben. Sein Grab wurde dann erst durch den „Spaziergänger Nach Syrakus“ Johann Gottfried Seume, der zufällig in demselben Hotel übernachtete, wieder entdeckt.
Winckelmanns gewaltsamer Tod hat in Deutschland allerdings tiefste Erschütterungen hervorgerufen. Den Studenten Wolfgang Goethe traf die Nachricht am Eingang der Leipziger Pleißenburg, wohin er zur Zeichenstunde bei Oeser geeilt war. Den alten Lessing in der Bibliothek in Wolfenbüttel. Beide reagierten mit Entsetzen, aber 40 Jahre später schreibt Goethe in seinem Aufsatz „Winckelmann und sein Jahrhundert“ ganz anders über seinen Hingang:

„ So war er denn auf der höchsten Stufe des Glücks, das er sich nur hätte wünschen dürfen, der Welt verschwunden. Ihn erwartete sein Vaterland, ihm streckten seine Freunde die Arme entgegen, alle Äußerungen der Liebe, deren er so sehr bedurfte, alle Zeugnisse der öffentlichen Achtung, auf die er so viel Wert legte, warteten seiner Erscheinung, um ihn zu überhäufen. Und in diesem Sinne dürfen wir ihn wohl glücklich preisen, dass er von dem Gipfel des menschlichen Daseins zu den Seligen emporgestiegen, dass ein kurzer Schrecken, ein schneller Schmerz ihn von den Lebendigen hinweg genommen. Die Gebrechen des Alters, die Abnahme der Geisteskräfte hat er nicht empfunden, die Zerstreuung der Kunstschätze, die er, obgleich in einem andern Sinne, vorausgesagt, ist nicht vor seinen Augen geschehen. Er hat als Mann gelebt und ist als ein vollständiger Mann von hinnen gegangen. Nun genießt er im Andenken der Nachwelt den Vorteil, als ein ewig Tüchtiger und Kräftiger zu erscheinen: Denn in der Gestalt, wie der Mensch die Erde verlässt, wandelt er unter den Schatten, und so bleibt uns Achill als ewig strebender Jüngling gegenwärtig. Dass Winckelmann früh hinweg schied, kommt auch uns zugute. Von seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner Kraft und erregt in uns den lebhaftesten Drang, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort- und immer fortzusetzen.“

Wenn wir heute durch die alten und ganz neu präsentierten Schatzkammern in Sachsen-Anhalt gehen, wenn sie, liebe Besucher an der Straße der Romanik, staunend vor den Kleinodien stehen, so haben wir alle Gelegenheit, mit den Geschichten um die Schätze auch den verwundenen Pfaden der eigenen Geschichte zu folgen.
Das Rossiniquartett und seine Gäste verabschieden sich mit einer besonderen Kostbarkeit aus der musikalischen Schatzkammer Johann Sebastian Bachs.

Brandenburgisches Konzert Nr. 2 / oder h-Moll-Suite