Neujahrskonzert 2011

Konzerteinführung Neujahrskonzert 2011

Die Operette

Jeder weiß, was eine Operette ist, und natürlich kennt man auch viele Operetten und Operettenmelodien. Aber eine Selbstverständlichkeit ist dies keineswegs. In den 60er, 70er, 80er Jahren des 20. Jahrhunderts drohte die Operette bis auf ganz wenige Ausnahmen in den Regalen der Vergessenheit zu verstauben. Sie wurde mehr und mehr als unzeitgemäß empfunden und dem großen Musikbetrieb auf den feineren Bühnen nicht mehr würdig mit ihrer verkitschten Romantik aus verflossenen Zeiten. Außerdem schien der unterhaltsame Teil im Musiktheater mehr und mehr von dem neuen Genre des amerikanischen Musicals erobert zu werden. Damit schien die gerade einmal 100jährige Tradition des Genres von der Uraufführung von Jacques Offenbachs Einakter „Die beiden Blinden“ 1855 in Paris bis Paul Burkhards abendfüllendem „Feuerwerk“ 1950 in München besiegelt. Aber spätestens seit den 80er Jahren erlebt die Operette eine Renaissance auf den Bühnen, und viele Schätze der rund 1500 Operetten, die in diesem Jahrhundert von ca. 60 Komponisten geschaffen wurden, werden wieder gehoben.
Die Operette entstand in Frankreich mit Jacques Offenbach und erreichte bald darauf Wien, Berlin usw.. Dem Wort nach bedeutet Operette zunächst nichts anderes als „Kleine Oper“, und die ersten Operettenkomponisten bezeichneten ihre Werke auch als „Komische Oper“. Der Begriff „Operette“ ist ein Kunstbegriff, den Verleger als den Verkauf fördernde Werbebezeichnung erfanden. Die frühesten Operetten trugen auch noch einige Züge der Oper. Aber zur Ahnentafel der Operette gehört auch das Sprechtheater mit seinen Gesangseinlagen, vor allem das französische Vaudeville, ein ursrünglich in der Normandie entstandene Spott- und Trink-, Liebes- und Tanzlied. Vaudevilles wurden in Komödien aufgenommen und von Jahrmarkttheatern gespielt und die frechen Chansons mit der Spielform der Commedia dell’arte verschmolzen. Auch die englischen Ballad Operas gaben das ihrige zur Operette, und mit ihnen zieht die Volksmusik in das Genre ein, und löst die italienische Opernform, in der virtuose, inhaltlich reflektierende Arien mit den Handlungstreibenden Rezitativen und später dann auch, wie im deutschen Singspiel, Sprechtexten wechseln, auf. Mit der Operette entsteht eine viel komplexere Form des heiteren Musiktheaters, als all ihre Vorgängerformen es vermochten. Die komödiantische Handlung vollzieht sich gleichermaßen in gesprochenen Dialogen, in parodistischen Couplets, in oft sängerisch unterschätzten, teilweise außerordentlich virtuosen Arien, in folkloristischen oder auch Revuetänzen, in Volksliedern und –chören. Die besten Operetten sind gleichermaßen gefühlvoll wie auch im besten Sinne komödiantisch, auch zeitkritisch-satirisch und schwungvoll, und sie haben immer, namentlich dann, wenn sie sorgfältig und mit Humor inszeniert werden, ihr Publikum gefunden. Allerdings wurden sie nur zu oft als theatralische Schmuddelkinder behandelt und lediglich als Kassenfüller missachtet. Die Kritik an der Operette setzte bereits in ihrer Geburtsstunde ein. Émile Zola erließ ein Todesurteil: „Die Operette ist ein öffentliches Übel, man sollte sie erwürgen wie eine schändliche Bestie!“ Sein Landsmann Camille Saint-Saens trifft es schon eher: „Die Operette ist eine auf Abwege geratene Tochter der Oper – aber nicht, dass auf Abwege geratene Töchter weniger charmant sind…“. Dem legendären Wiener Kritiker Karl Kraus ist ja schon die Oper suspekt, die nach seiner Meinung die reale Theaterwelt mit Personen bevölkert, „die bei einer Eifersuchtsszene, bei Kopfschmerzen, bei einer Kriegserklärung singen, ja sterbend selbst auf die Koloratur nicht verzichten.“ Bei der Operette aber werde nach all dem noch munter fortgelebt „nach den Gesetzen des Chaos, aus dem die Welt erschaffen wurde. Der Gedanke der Operette ist Rausch, aus dem Gedanken geboren werden.“
Es ist vor allem der musikalische Rausch, welcher dem ganzen Genre seine Überlebensfähigkeit sichert, aber was wäre dieser, wenn in ihm sich nicht wunderbare Charaktere hinreißende Liebeserklärungen machen würden, freche genauso wie tiefsinnige, sentimental schmachtende wie fröhliche, eifersuchtswütige wie selig glückliche…

Liane Bornholdt

Quellen: Böttger. Das musikalische Theater, www.planet-vienna.com/musik/operette/operette.html